Die Stadt Deggendorf liegt im Donautal am Fuße der Berge des bayerischen Waldes. Ende Oktober hat mich Pfarrer Gottfried Rösch hierher zum Reformationsfest bei der evangelischen Kirchengemeinde der Auferstehungskirche eingeladen, um bei einem ganz besonderen Gottesdienst dabei zu sein, Geburtstag zu feiern und einen geheimnisvollen Glückssucher zu treffen. Was für ein wunderbarer Tag! Der Himmel war strahlend blau und der hübsche Backsteinbau der Auferstehungskirche leuchtete im Sonnenschein.
Was hat Deggendorf mit Martin Luther zu tun?
Zum Reformationsfest hier in Deggendorf zu sein, war etwas Besonderes. Gottfried hat mir nämlich erzählt, dass Georg Rörer, der Namensgeber des Gemeindehauses, vor vielen hundert Jahren angeblich hier geboren wurde. Und wer war das? Georg Rörer war ein Weggefährte von Martin Luther und derjenige, der Luthers Predigten, Vorlesungen und Tischreden mitgeschrieben hat! Georg Rörer sorgte mit dafür, dass Luthers mündliche Vorträge fast vollständig überliefert wurden und heute noch nachgelesen werden können.
Ein bunter Gottesdienst
Beim Gottesdienst war außer Gottfried und seinem Kollegen Pfarrer Hans Greulich auch Pfarrer Мarkus Hildebrandt Rambe dabei. Der Gottesdienst war ein interkultureller Gottesdienst, bei dem Menschen aus verschiedenen Kulturen und verschiedenen Heimatländern dabei waren. Damit kennt Markus sich aus, denn er ist als Pfarrer für den Kontakt zwischen den vielen ausländischen Kirchengemeinden in Bayern zuständig.
In seiner schönen Predigt ging es deshalb darum, wie wir in Gottes Welt bei aller Verschiedenheit miteinander auskommen können. Und, dass wir keine Angst vor Vielfalt haben brauchen. Keine Sprache, Herkunft oder Kultur ist einer anderen überlegen. Aber es braucht "Brückenbauer", Menschen, die auf andere zugehen und auch mit denen Kontakt aufnehmen, die vielleicht auf den ersten Blick fremd erscheinen. Oder einfach anders als wir selbst. Gott selbst baut immer wieder eine Brücke zu uns. Besonders gut gefallen hat mir dann auch, dass später in ganz verschiedenen Sprachen gebetet wurde. Auch wenn ich nicht alles verstanden habe, konnte ich doch den guten Glauben spüren, der mit unbekannten Wörtern ausgedrückt wurde.
Ein Brückchen auf Russisch
Eine Sprache kam in diesem Gottesdienst immer wieder vor: Russisch. Der Chor hat wunderschöne russische Lieder gesungen, das Vater Unser wurde auf Russisch gebetet. Auch das hat mit Brückenbauen zu tun! An dem Tag feiert nämlich das Brückchen Mostik seinen 5. Geburtstag. Ein Brückchen? Ja, "Most" heißt auf Russisch Brücke und "Mostik" ist das Brückchen. "Mostik" heißt ein Verein in Deggendorf, der vor 5 Jahren von Menschen gegründet worden ist, deren Vorfahren irgendwann einmal von Deutschland nach Russland ausgewandert sind und die in den 90er Jahren als Russlanddeutsche nach Deggendorf zurückgekehrt sind. Auch der Verein Mostik ist interkulturell: Mostik baut Brückchen zwischen der alten Heimat Russland und der neuen Heimat Deggendorf, zwischen Alteingesessenen und „Aussiedlern“, zwischen Jung und Alt, verschiedenen Religionsgemeinschaften und Kulturen.
Ganz viel Geburtstag
Und zum Geburtstag gab es eine tolle und leckere Brückchen-Torte in den Vereinsfarben. Und viele Glückwünsche gab es auch, sogar der Oberbürgermeister von Deggendorf hat Mostik gratuliert! Und dem Gottfried, der an diesem Tag auch Geburtstag hatte. Und mir auch. Dieser Reformationstag war ein riesiges buntes Geburtstagsfest!
Wanja auf der Suche nach dem Glück
Allmählich wurde ich jedoch etwas unruhig. Wann ich wohl endlich diesen geheimnisvollen Glücksucher treffen würde, den Gottfried mir vorstellen wollte? Und dann plötzlich wurde mein Name aufgerufen und das Mädchen Elisabeth hat mich nach vorne in den Saal getragen, weil ich so aufgeregt war!
Und endlich wurde ich Wanja vorgestelllt! Wanja stammt aus Moskau und ist unterwegs, um das Ausstellungs-Projekt „Frieden für die ganze Welt“ zu begleiten: Kinder aus verschiedenen Ländern malen ihre Welt, ihre Vorstellung vom Glück und vom Frieden. Und Wanja reist als Friedensbotschafter auf der Suche nach dem Glück mit all diesen Bildern durch Europa.
Je länger Wanja und ich uns mithilfe unserer Dolmetscher unterhalten haben, umso mehr Gemeinsamkeiten haben wir entdeckt. Wir beide reisen durch die Welt, um kleine und große Menschen zu besuchen, sie kennenzulernen, Neues zu entdecken und ein paar kleine Brückchen zu bauen.
Kinder wünschen sich Frieden
Bei der offiziellen Eröffnung der Ausstellung ein paar Tage später in der Deggendorfer Stadtbibliothek konnten sich deutsche, russische, syrische, afghanische und irakische Kinder und Jugendliche per Internet mit Kindern und Jugendlichen austauschen, die sich für ihr Leben in der Stadt Donezk vorallem ein wünschen: Frieden. Die Gespräche haben gezeigt, dass der Traum vom Glück und vom Frieden die jungen Menschen verbindet, auch wenn die Umstände ganz verschieden sind. Vielleicht sollten die Erwachsenen den Kindern einfach mal öfter zuhören. Besonders berührt hat mich auch die Geschichte von einem syrischen Jungen, der in seiner Heimat viel Gewalt erlebt hat und nun davon träumt, Arzt zu werden, weil er Menschen helfen möchte.
Die schöne Ausstellung kann man sich übrigens noch bis 10. November in der Stadtbibliothek Deggendorf anschauen, bevor sie mit meinem neuen Freund Wanja nach Berlin, Pisek und Paris weiterreist. Zum Abschied hat Wanja mich eingeladen, ihn nächstes Jahr zur großen Abschluss-Ausstellung von "Frieden in der Welt" in Moskau zu besuchen. Da waren meine Abschiedstränchen schnell verdrückt! Was für ein schöner Abschluss für meinen Besuch in Deggendorf! Vielen Dank für die Einladung! Спасибо! Spasibo!
Fotos © Leonard Rössert